Die Vergabekammer Lüneburg (Beschluss vom 23.06.2021, VgK - 19/2021) musste sich mit einem Sachverhalt aus dem Sektorenbereich auseinandersetzen, in dem Leistungen in einem Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb vergeben wurden (sogenannte Direktvergabe).
Gegenstand der Leistungserbringung waren Informations- und Telekommunikationsdienstleistungen sowie die Umrüstung von Pumpwerken auf digitale Telefonie. In der Bekanntmachung der vergebenen Aufträge gab die ausschreibende Stelle an, warum sie der Meinung sei, dass die zu beschaffenden Leistungen ausschließlich der Auftragnehmer erfüllen könne.
Gegen diese Vergabe richtet sich zunächst die abgewiesene Rüge und der hierauf gestellte Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit der Direktvergabe. Die Antragstellerin war der Auffassung, dass kein Ausnahmetatbestand für eine wirksame Direktvergabe vorliege.
Daraufhin stellte die Vergabekammer zunächst die Zulässigkeit des Antrages fest. Gleichzeitig hielt sie den Antrag auch für begründet: „Die Durchführung eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb gemäß § 13 Abs. 2 Nr. 3 b) SektVO als Ausnahme vom Wettbewerbsgebot erfordert das Vorliegen objektiver sachverhaltsbezogener und dem Auftraggeber nicht zurechenbare Gründe, die ihn daran hindern, das offene oder nicht offene Verfahren mit Teilnahmewettbewerb einzuhalten. Die Vergabe von Leistungen im unmittelbaren Zusammenhang mit der Funktionsfähigkeit kritischer Infrastruktur berechtigt den jeweiligen Auftraggeber, nur in besonderem Maße geeignete und leistungsfähige Unternehmen auszuwählen. Er kann besonders hohe Anforderungen bei der Zulassung geeigneter Unternehmen, bei der Zusammenstellung der Leistungsanforderungen und bei der Formulierung der Zuschlagskriterien stellen.“
Bezüglich des erklärten Zeitdrucks führt die VK aus, dass der von der ausschreibenden Stelle angeführte Termindruck letztlich selbst verursacht wurde und daher keine Rolle als Ausnahmetatbestand spielen könne. „Der Antragsgegner (die ausschreibende Stelle) hat den von ihm Ende 2020 wahrgenommenen Zeitdruck durch zweijährige Untätigkeit wesentlich selbst verschuldet herbeigeführt. Er dokumentierte am 21.12.2020 erstmals intern die bereits entschiedene Festlegung, dass die Vergabe an die Beigeladene erfolgen solle. Zur Begründung führte er nicht aus, dass nur dies Unternehmen technisch leistungsfähig sei. Dies erfordert jedoch der Tatbestand des § 13 Abs. 2 Nr. 3 b SektVO.“
Wegen des erklärten hohen betrieblichen Risikos und der technischen Gründe und der notwendigen Vorkenntnisse des derzeitigen und aktuellen Auftragnehmers führt die Kammer aus, dass dann ein Markterkundungsverfahren hätte durchgeführt werden müssen. Hierzu wurde jedoch seitens der ausschreibenden Stelle nichts dokumentiert. Also fand dies nach Sachstand der Vergabekammer nicht statt. „Der Antragsgegner hat zur Markterkundung und zu den technischen Gründen nichts dokumentiert, was aber bei Berufung auf eine besondere Situation nach § 13 Abs. 2 Nr. 3 b SektVO aufgrund einer nach § 26 SektVO durchgeführten Markterkundung gemäß § 8 SektVO unabdingbar und in nachvollziehbarer Tiefe notwendig gewesen wäre.“
Bezüglich des Zeitdrucks erklärte die Kammer weiterhin, dass die ausschreibende Stelle weder dokumentiert noch dargelegt habe, warum der Zeitdruck bei einer Losbildung und damit Parallelisierung der Arbeiten an den Pumpwerken nicht hätte kompensiert werden können.
Bezüglich der Beschreibbarkeit der Leistung hat die Vergabekammer erklärt: „Die weitere Annahme im Vermerk vom 21.12.2020, die Leistung sei nicht eindeutig und erschöpfend beschreibbar, weil Art und Umfang der technischen Umrüstung nicht so festgelegt werden könnten, dass hinreichend vergleichbare Angebote erwartet werden könnten, widerspricht der Lebenserfahrung. Was Menschen nicht kreativ erschaffen, sondern konstruktiv nach Vorgaben errichten sollen, kann man vorab beschreiben.“
Letztlich kommt die Vergabekammer zum Schluss: „Die Vergabe von Leistungen im unmittelbaren Zusammenhang mit der Funktionsfähigkeit kritischer Infrastruktur berechtigt den jeweiligen Auftraggeber, nur in besonderem Maße geeignete und leistungsfähige Unternehmen auszuwählen. Dazu gibt ihm das Vergaberecht verschiedene Werkzeuge an die Hand. Der Auftraggeber kann jeweils besonders hohe Anforderungen bei der Zulassung geeigneter Unternehmen (§ 122 GWB, 123 GWB), bei der Zusammenstellung der Leistungsanforderungen (§ 121 GWB) und bei der Formulierung der Zuschlagskriterien (§ 127 GWB) stellen. Die Gestaltung dieser Anforderungen ist nach § 97 Abs. 1, Abs. 2 jeweils transparent und diskriminierungsfrei vorzunehmen.“
Die Vergabekammer hat die Unwirksamkeit des abgeschlossenen Vertrages festgestellt.
Fazit
Wenn Sie sich auf gesetzlich zulässige Ausnahmetatbestände berufen, müssen Sie diese ordnungsgemäß in Ihrer Vergabeakte dokumentieren. Wichtig hierbei ist, dass Vergabekammern selbst verschuldeten Zeitdruck keinesfalls als Ausnahmetatbestand für ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb anerkennen. Dies gilt auch für Vergaben von Leistungen im unmittelbaren Zusammenhang mit der Funktionsfähigkeit kritischer Infrastruktur.