IPv6 (Internet Protocol Version 6) wurde von der Internet Engineering Task Force (IETF) 1998 standardisiert und begleitet uns seit inzwischen 25 Jahren. Eine wesentliche Eigenschaft von IPv6 besteht darin, einen deutlich größeren Adressraum zu besitzen als der Vorgänger IPv4. Der Adressraum von IPv4 beträgt 4,2 x 109 Adressen, der Adressraum von IPv6 3,4 x 1038 Adressen. Das bedeutet, jeder Quadratmeter der Erde könnte mit 1.500 IPv6-Adressen versorgt werden.
Im November 2019 meldete die europäische IP-Adressverwaltung Réseaux IP Européens (RIPE), dass die letzte verfügbare IPv4-Adresse zugeteilt worden sei. Das europäische Reservoir an IPv4-Adressen war damit erschöpft. RIPE forderte damals mehr Engagement bei der Einführung von IPv6.
Die meisten Netzdienstleister haben heute ihre Netze auf einen Dual-Stack-Betrieb (IPv6 mit IPv4) oder sogar einen Single-Stack-Betrieb (nur IPv6) migriert. Dies führt dazu, dass ein reiner IPv4-Betrieb eines Unternehmens oder einer Behörde IP-Kommunikation mit Externen erschweren oder verhindern kann, seien es Netz- oder Cloud-Dienstleister, Schwesterunternehmen oder -Behörden oder der einfache Aufbau einer VPN-Verbindung. Eine Killerapplikation für eine IPv6-Umstellung gibt es jedoch selten, die Einschränkungen finden eher häppchenweise statt.
DOK SYSTEME empfiehlt, die IPv6-Umstellung frühestmöglich zu planen und durchzuführen, da sie letztendlich unausweichlich ist.
Umstellung auf IPv6 in der Theorie
Bei der Umstellung eines Unternehmens- oder Behördennetzes von IPv4 auf IPv6 handelt es sich zunächst einmal um einen betrieblichen Change. Auf Netzwerkebene (nämlich in der Netzwerkschicht des ISO/OSI-Referenzmodells) wird ein Protokoll (IPv4) durch ein anderes (IPv6) ersetzt. In der Praxis bedeutet dies, dass Protokoll-Stacks ein Update erfahren. Für die Applikationen darüber ändert sich nichts.
Soweit zur reinen Lehre. Doch worauf ist in der Praxis zu achten, in der es nicht darum geht, einzelne Geräte IPv6-fähig zu machen, sondern die komplette IP-Kommunikation in Betrieb und stabil zu halten?
Ist-Aufnahme IPv4 und IPv6
Ein IPv6-Migrationsprojekt startet mit einer umfassenden Ist-Aufnahme zu IPv4 und auch zu IPv6. Zunächst sind sämtliche Komponenten zu „finden“, welche über IPv4 kommunizieren. Dies klingt nicht besonders herausfordernd, ist in vielen Fällen aber mit hohem Aufwand verbunden. In den Bestandssystemen sind diese Information häufig nicht oder nicht vollständig hinterlegt.
In einem nächsten Schritt ist für diese Komponenten vollständig festzustellen, mit welchen anderen Komponenten diese über IPv4 kommunizieren. Das können Clients oder Applikationsserver sein, aber auch Server für netznahe Dienste wie DNS (Domain Name System), DHCP (Dynamic Host Configuration Protocol) oder NTP (Network Time Protocol). Als weiteres Beispiel sei IP-Telefonie genannt, bei der Signalisierungsdaten mit einem Call Controller (On Premise oder in der Cloud) ausgetauscht werden und Sprachdaten mit einem beliebigen anderen IP-Telefon.
Die Vollständigkeit der Ist-Erfassung ist essenziell: Jede Komponente und jede Kommunikationsbeziehung, die in dieser Phase nicht erfasst wird, läuft nach der IPv6-Migration ins Leere.
Der zweite Teil der Ist-Aufnahme besteht darin, für die IPv4-sprechenden Komponenten den Aufwand für eine Migration auf IPv6 festzustellen. Aktuelle Komponenten wie z. B. Router oder Switche sollten diese Fähigkeit schon besitzen, für andere ist möglicherweise ein Software-Update ausreichend und spezielle Komponenten wie Sensoren können evtl. gar nicht auf IPv6 gehoben werden.
Entwicklung IPv6-Zielarchitektur
Auf Basis der Ist-Aufnahme ist die IPv6-Zielarchitektur zu entwickeln. Neben der Adressvergabe und der Erneuerung der IP-Adresskonzepte sind die IPv6-spezifischen Protokoll-Features zu beplanen. Für diese ist eine Sicherheitsbetrachtung durchzuführen. Um den Weg zu einer IPv6-Zielarchitektur beschreiten zu können, ist sicherzustellen, dass der Betrieb möglichst unterbrechungsarm weiterläuft und alle vertraglichen Abhängigkeiten mit internen und externen Dienstleistern betrachtet und geregelt werden. Dies bedeutet, dass Betrieb, Vertragsmanagement und Beschaffung bei einem IPv6-Migrationskonzept mit am Tisch sitzen müssen.
Planung Übergangstechnologie oder IPv6-only
In der nächsten Phase des IPv6-Migrationsprojektes wird die Umstellung auf IPv6 geplant. Für die sanfte Migration von IPv4 zu IPv6 existieren verschiedene technische Verfahren, welche sich wie folgt klassifizieren lassen:
Im Falle eines Dual-Stack-Betriebs unterstützt eine Komponente parallel IPv4 und IPv6.
Im Rahmen von Tunnelverfahren sind beliebige Kombinationen von tunnelnden und getunnelten Protokollen möglich. So können IPv4-Netze von IPv6-Paketen durchquert werden und umgekehrt. Für die Kopplung von IP-Netzen über Tunnel ist IPSec im Tunnel-Mode eine weit verbreitete und bewährte Technik und bietet sich zur sicheren Übertragung an. Als weitere mögliche Tunnel-Techniken seien 6to4, IPv6 Rapid Deployment (6rd), Dual Stack Lite (DS-Lite), Teredo und 4to6 genannt.
Bei der Übergangstechnik „Protokollumsetzung“ hingegen erfolgt auf dem Übertragungsweg eine Übersetzung zwischen IPv4 und IPv6. Eine Protokollumsetzung ermöglicht z. B. – im Gegensatz zu Tunneltechniken – die Kommunikation zwischen einem IPv6-only Client und einem IPv4-only Server. Da bei vielen Applikationen die IP-Adressen nicht nur im Header der IP-Pakete, sondern auch im Anwendungsprotokoll verwendet werden, funktioniert die Protokollumsetzung in der Praxis nicht in allen Fällen.
Bei der Planung von Übergangstechnologien sind diese ebenfalls einer Sicherheitsbetrachtung zu unterziehen.
Umstellung auf eine Übergangstechnologie oder IPv6-only
Für die Migration auf IPv6 empfiehlt es sich, technische Migrationsbereiche zu bilden, die einzeln umgestellt werden. Diese können z. B. sein: WAN, LAN, Internet-Übergänge, Drucker-VLANs, IP-Telefonie, Gäste-WLANs. Eine Umstellung auf IPv6 ist ein in der Regel lang andauernder Prozess, in dem verschiedene Migrationsbereiche auch mehrmals umgestellt werden müssen. Das WAN wird z. B. in der Regel so lange über Dual Stack betrieben, bis alle anderen Migrationsbereiche auf IPv6-only umgestellt sind. Erst dann erfolgt die Umstellung des WAN auf IPv6-only. Fachnetze, welche keine oder wenige Übergänge nach außen haben, können ggf. direkt auf IPv6 umgestellt werden oder bis zum nächsten Beschaffungszyklus als Insel auf IPv4 verbleiben.
Um bei Umstellungen im Netz eine hohe Erfolgswahrscheinlichkeit zu erreichen und die Geschäftsprozesse nicht oder nur minimal zu stören, sind Vorab-Tests in einer Testumgebung obligatorisch. Aufgrund der Vielzahl von unterschiedlichen IT-Systemen, welche umzustellen sind, kann auch hier ein hoher Aufwand entstehen.
Für die Umstellungen sind Checklisten zu erstellen, in welchen Schritten IPv6-only oder eine Übergangstechnologie in Betrieb zu nehmen ist und anhand welcher Kriterien der Erfolg einer Inbetriebnahme festgestellt werden soll. Fallback-Szenarien sind einzuplanen.
Eine Umstellung auf IPv6 bedeutet einen großen personellen und u. U. auch finanziellen Aufwand, der zwar aufgeschoben, aber nicht aufgehoben werden kann. DOK SYSTEME empfiehlt: Fangen Sie jetzt damit an!
Ingo Hagemeister
Lead Consultant
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