In einem Vergabeverfahren wurden Dienstleistungen (Übernahme und Vermarktung von Altpapier) europaweit in einem offenen Verfahren ausgeschrieben. In der Vergabebekanntmachung hierzu wurde angegeben, welche Unterlagen/Erklärungen die Bieter mit dem jeweiligen Angebot einzureichen haben.
Nach Prüfung der Angebote wurde die spätere Antragstellerin im Nachprüfungsverfahren aufgefordert, diverse Angaben – die nach Ansicht der ausschreibenden Stelle im Angebot fehlten – nachzureichen, was fristgerecht erfolgte.
Aus anderen Gründen sollte der Zuschlag jedoch auf das Angebot der späteren Beigeladenen erfolgen, wogegen sich die Rüge und der spätere Antrag auf Nachprüfung richtete.
Gegenstand des folgenden Nachprüfungsverfahrens war u. a. die Frage nach dem Umfang der zu verlangenden Betriebshaftpflichtversicherung im Lichte des Auftragsgegenstands.
Die Vergabekammer hielt den Nachprüfungsantrag für begründet und forderte die ausschreibende Stelle auf, unter Beachtung der Hinweise der Vergabekammer die Angebotswertung zu wiederholen. Gegen diese Entscheidung legte die Antragstellerin sofortige Beschwerde beim OLG München ein, mit dem Ziel, die Entscheidung der Vergabekammer aufzuheben.
Das OLG München (Beschluss vom 30.11.2020 – Verg 6/20) stellte fest, dass die ausschreibende Stelle in der Bekanntmachung exakt angeben muss, welche Erklärungen (insbesondere zur Eignung) sie zu welchem Zeitpunkt verlangt und welchen Inhalt diese Erklärungen haben muss. Mehrdeutigkeiten gehen insofern immer zu Lasten der ausschreibenden Stelle:
„Wird in den Vergabeunterlagen nicht mit der gebotenen Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht, dass eine bestimmte Erklärung vom Bieter schon bis zum Ablauf der Angebotsfrist beizubringen ist, darf die Vergabestelle ein Angebot, in dem diese Erklärung fehlt, nicht ohne Weiteres ausschließen (BGH, Urt. v. 3. April 2012, X ZR 130/10). Die Nachforderung nach § 56 Abs. 2 VgV und die Aufklärung nach § 15 Abs. 5 VgV stehen grundsätzlich in einem aliud-Verhältnis. Beide Vorschriften stellen eine Art der Aufklärung dar, deren Anwendbarkeit sich nach dem Ziel des Aufklärungsverlangens richtet. Will der Auftraggeber fehlende oder unvollständige Unterlagen aufklären, so hat er den Weg über die Nachforderungsmöglichkeit nach § 56 VgV zu wählen. Möchte er hingegen den Inhalt eines vollständig eingereichten Angebots aufklären, so hat er Aufklärung nach § 15 VgV zu ersuchen. Dieses Ausschlussverhältnis gerät in eine Grauzone, wenn es um die Aufklärung zwar fehlerhaft aber tatsächlich doch eingereichter Unterlagen geht. In diesem Fall wird im Zweifel aber auf die Nachforderung nach § 56 VgV zurückzugreifen sein, da sie mit ihren strengeren Anforderungen die speziellere Vorschrift darstellt (Schneevogl/Müller in BeckOK Vergaberecht, 17. Ed. Stand 31. Juli 2017, VgV § 15 Rn. 19.1). Geht es um die bloße Nachforderung von in der Auftragsbekanntmachung bereits verlangten Unterlagen, gilt § 56 Abs. 2 VgV (Pünder/Klafki in Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, 3. Aufl. 2019, VgV § 15 Rn. 35). Im Rahmen der § 56 Abs. 2, § 57 Abs. 1 Nr. 2 VgV ist eine inhaltlich unzureichende Unterlage nicht mit einer fehlenden gleichzusetzen (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 18. September 2019 – Verg 10/19 m. w. N.; OLG München, Beschl. v. 27. Juli 2018, Verg 02/18).“
Fazit
Die Frage, ob unzureichende Unterlagen nachzufordern oder aufzuklären sind, ergibt sich aus den Angaben im Beschluss. Am besten jedoch definieren Sie Ihre Anforderungen an die abzugebenden Erklärungen/Nachweise exakt. Legen Sie ebenfalls fest, zu welchem Zeitpunkt der Bieter diese einzureichen hat. Damit erfüllen Sie in Ihrer Ausschreibung die wichtigsten Punkte zur Anforderung von Erklärungen und Nachweisen.